Reisekolumne Wanderung Fjordnorwegen
Wanderung auf der Vogelinsel Runde an der Atlantikküste
Man muss nur einmal über die Brücke fahren, die vom Festland hinüber nach Runde führt, um zu spüren, dass diese Insel anders ist. Links das offene Meer, rechts kleine Fjordarme und direkt voraus: eine dramatisch aufragende Felseninsel, rau, grün überzogen, von Wind und Wetter gezeichnet. Es dauert keine fünf Minuten, bis einem klar wird - hier regiert nicht der Mensch, sondern die Natur.
Runde liegt an Norwegens Westküste, etwa 20 Kilometer südlich von Ålesund, in der Region Møre og Romsdal. Mit knapp 6 Quadratkilometern ist die Insel klein, aber sie gehört zu den wichtigsten Brutgebieten für Seevögel in ganz Nordeuropa. Besonders im Sommer ist sie Heimat für hunderttausende Tiere - von Papageitauchern über Basstölpel bis zu Trottellummen. Entsprechend zieht Runde jedes Jahr bis zu 100.000 Besucher an. Die meisten kommen zwischen Mai und August, wenn die Klippen leben.
Was einen dort oben erwartet, ist kaum zu beschreiben: steile Felsen, über denen Tausende Vögel kreisen, Gischt, die in feinem Nebel aufsteigt, das unablässige Kreischen aus der Luft. Die Wanderung vom Dorf Goksøyr hinauf zu den Brutplätzen dauert etwa eine Stunde. Der Weg führt über grasige Hänge, steinige Pfade und kleine Hochplateaus. Immer wieder öffnet sich der Blick aufs Meer - und auf die Klippen, die senkrecht ins Wasser fallen. Wer früh am Morgen oder spät am Abend unterwegs ist, erlebt die Vögel in besonders intensiver Aktivität. Papageitaucher mit Fisch im Schnabel, Basstölpel im Sturzflug, Möwen im Luftkampf.
Das Klima auf Runde ist typisch für die norwegische Atlantikküste: wechselhaft, feucht, aber nicht extrem kalt. Auch im Sommer sind Temperaturen über 18 Grad selten, und oft ziehen Nebel oder Regenschauer durch. Wer Glück hat, erwischt einen sonnigen Tag mit klarer Sicht bis zu den Sunnmøre-Alpen. Wer Pech hat, steht im Sturm - was auf Runde aber irgendwie dazugehört. Wetter gehört hier zur Erfahrung.
Die Vogelinsel Runde ist aber nicht nur wegen ihrer Tierwelt bekannt. Sporttaucher entdeckten 1972 vor der Küste ein Wrack - ein holländisches Handelsschiff, das 1725 gesunken war. Der Fund wurde als "Rundeskatten" berühmt: Über 57.000 Gold- und Silbermünzen wurden geborgen. Ein Teil davon kann heute im Jugendstilsenteret in Ålesund oder im Umweltzentrum auf der Insel besichtigt werden. Dieses Zentrum, das "Runde Miljøsenter", ist nicht nur Museum, sondern auch Forschungsstation und wichtiger Ort für nachhaltigen Tourismus. Wer mehr über die Geologie, die Vogelwelt oder den Schatz erfahren will, sollte hier vorbeischauen.
Trotz ihrer Beliebtheit ist die Insel nur bedingt auf großen Touristenandrang eingestellt. Es gibt einen Campingplatz, einige Ferienhäuser und kleinere Unterkünfte, aber keine Hotels im klassischen Sinn. Viele Besucher reisen daher mit dem Wohnmobil oder als Tagesgäste an. Gerade in den Sommermonaten kann es dann eng werden - auf den Parkplätzen, auf den Wanderwegen, und auch für die Natur. Trittschäden an den empfindlichen Heideflächen, Müllprobleme und Störungen in den Brutgebieten sind reale Herausforderungen.
Die Behörden und das Umweltzentrum setzen daher auf Information, Lenkung und Rücksichtnahme, damit Runde auch in Zukunft ein besonderer Ort bleibt. Denn genau das ist sie: eine kleine, raue, eindrucksvolle Insel, auf der man spürt, wie nah das Wilde noch ist.
Wer einmal an den Klippen stand, das Kreischen der Vögel im Ohr, den Wind im Gesicht, der nimmt mehr mit als nur Fotos. Es ist ein Gefühl von Ehrfurcht - und vielleicht auch die Erkenntnis, wie klein der Mensch ist, wenn die Natur einmal das Sagen hat.


