Reisekolumne Roadtrip Fjordnorwegen
Durch das Hochgebirgstal Valldalen zum Trollstigen
Wir waren früh unterwegs. Anfang Mai, als die Luft noch nach Frost roch und das erste Licht sich über die Berghänge legte wie eine Decke aus Silber. Das Valldalen empfing uns mit einer Klarheit, die fast unwirklich wirkte. Kein Nebel, kein Wind - nur ein wolkenloser Himmel über einem Tal, das sich weit und lautlos zwischen den Bergen öffnet. Schon bei unserem ersten Besuch hatte uns dieser Ort nicht mehr losgelassen. Doch diesmal war es, als hätte sich die Landschaft für einen Augenblick angehalten.
Was uns wieder hierherzog, war die Route. Die norwegische Landschaftsstraße 63 ist eine der eindrucksvollsten Panoramastraßen des Landes. Sie beginnt auf dem Strynefjellet, führt vorbei am Geirangerfjord und durchquert schließlich das Herz von Møre og Romsdal.
Auch wenn ihr spektakulärster Abschnitt, der Trollstigen, seit Juni 2024 aufgrund akuter Felssturzgefahr gesperrt war und erst am 11. Juli 2025 wieder öffnete, bleibt allein die Strecke von Sylte über Valldal hinauf zum Trollstigen-Plateau ein unvergleichliches Erlebnis.
Die Landschaft erzählt von Kräften, die lange vor uns gewirkt haben. Jahrtausendealte Gneise, dunkler Glimmerschiefer, glattgeschliffene Felsplatten - die Geologie hier spricht leise, aber deutlich. Ehemalige Gletscherzungen haben Täler geformt, Felswände gezeichnet, Geröll hinterlassen. Und auch wenn der große Druck nachgelassen hat: Die Berge leben weiter, bewegen sich, bröckeln, arbeiten unter der Oberfläche.
Am Gudbrandsjuvet öffnet sich die Landschaft schlagartig. Der Fluss hat sich hier in einer engen, tiefen Schlucht ein wildes Labyrinth aus Fels geschaffen. Das Wasser tobt zwischen scharfkantigen Wänden, während feiner Sprühregen in der Sonne glitzert. Über dem Abgrund schweben leichte Stege aus Stahl und Glas - klare Linien über wilder Tiefe. Zwischen den Planken liegt noch Schnee, still und unberührt, ein letztes Aufglimmen des Winters.
Hinter dem Wasserfall beginnt der Anstieg. Kurve um Kurve windet sich die Straße höher, hinaus ins karge Fjell. Moose und Sträucher weichen nacktem Stein, in den Mulden sammeln sich letzte Schneereste. Die Straße ist frei - trocken, aufgeräumt, aber an ihren Rändern liegt der Winter noch wie ein vergessener Gast. Je weiter man steigt, desto stiller wird es. Keine Dörfer mehr, keine Spuren von Leben - nur Licht, Stein und Himmel.
Oben am Trollstigen-Plateau endet die Fahrt. Der berühmte Serpentinenabschnitt hinab ins Isterdalen bleibt gesperrt - zum zweiten Mal in Folge. Schon 2023 hatte es massive Hangbewegungen gegeben, 2024 blieb die Strecke den gesamten Sommer über geschlossen. Insgesamt sechs Felsstürze und instabile Zonen machten eine Öffnung unmöglich. Der Asphalt endet an einer Schranke, dahinter beginnt das Schweigen.
Und dann öffnet sich die Sicht zum Isterdalen. Die Gipfel von Bispen, Kongen und Dronninga stehen glasklar vor dem Himmel. Ihre scharfen Konturen, ihr stilles Gewicht - ein Anblick, der sich tief einprägt. Selbst das Isterdalen liegt sichtbar unter uns, fast vollständig ausgeleuchtet vom Licht dieses Morgens. Eine solche Weite, eine solche Klarheit ist selten hier oben. Zu oft liegt das Tal unter Wolken oder im Dunst. Heute aber scheint selbst die Ferne stillzustehen.
Auf dem Rückweg wirkt alles vertraut - und doch neu. Das Licht hat sich verändert, Schatten liegen anders, Farben wirken wärmer. Das Tal zeigt ein anderes Gesicht, obwohl es dasselbe ist. Das Valldalen bleibt nicht stehen. Es verändert sich mit jeder Stunde, mit jedem Blick, mit jeder Erinnerung, die man mitnimmt.
Wer das Valldalen und die Panoramastraße 63 entdeckt, findet mehr als nur spektakuläre Aussichten. Wanderwege führen zu atemberaubenden Gipfeln und Wasserfällen, während Flüsse im Sommer zu spannenden Kajak- und Raftingabenteuern einladen.
Im Winter locken schneebedeckte Berge zu Skitouren und stillen Naturerlebnissen. Die Möglichkeit, Adler und andere Wildtiere zu beobachten, macht das Tal zusätzlich besonders. Kleine Dörfer wie Sylte erzählen von einer traditionsreichen Kultur, die den rauen Charakter der Region lebendig hält. So wird das Valldalen zu einem Ort, an dem Natur, Abenteuer und Kultur untrennbar miteinander verbunden sind - ein Erlebnis, das lange nachklingt.