Reisekolumne Roadtrip Fjordnorwegen
Vom Strynefjellet vorbei am Fotospot Dalsnibba zum Geirangerfjord
Der Tag begann unscheinbar - ein seltener, stiller Vormittag im Mai auf dem Campingplatz am Strynsvatnet, wo Wasser und Berge in ruhiger Harmonie aufeinandertreffen. Über dem See lag noch ein leichter Dunst, das Wasser war spiegelglatt ohne die geringste Bewegung. Neben unserem Wohnmobil dampfte der frisch aufgebrühte Kaffee, während die Sonne langsam über die Hänge stieg - ein ruhiger Start für unsere Tour, die weniger auf bekannte Sehenswürdigkeiten setzte als auf geologische Tiefe und landschaftliche Konzentration.
Früh am Morgen verließen wir den Stellplatz und folgten der Nationalstraße 15 Richtung Oppstryn. Die Strecke war uns noch von früheren Reisen in dieser Gegend bekannt - und doch fühlte sie sich bei jeder Fahrt neu an.
Der erste Abschnitt führte entlang des Oppstrynvatnet, eines langgestreckten Gletschersees, dessen dunkles Wasser geheimnisvoll wirkt. Kurz darauf erreichten wir Hjelle, einen kleinen Ort, der einst als Anlaufstelle für Fischer und Bootsleute am Seeufer entstanden ist. Heute ist Hjelle vor allem für sein Hotel bekannt, das 1896 gegründet wurde und direkt am Ufer liegt.
Es ist kein Freilichtmuseum, sondern ein lebendiger Gasthof, dessen weiß getünchte Holzfassade und die umliegenden Bootshäuser von der langen Tradition des frühen Fremdenverkehrs in dieser abgelegenen, landschaftlich reizvollen Region erzählen.
Ab hier begann der eigentliche Aufstieg ins Strynefjellet. Die Vegetation veränderte sich rasch: Birkenwälder wichen Felsen und Geröll. In einer der oberen Kehren hielten wir an, um die Landschaft zu fotografieren - ein Ort, an dem das Verweilen zum Muss wurde. Die Gletscherschliffe, Moränen und Felsbänder waren für uns keine bloßen Landschaftselemente, sondern sichtbare Kapitel einer geologischen Erzählung. Hier lagen die Spuren urzeitlicher Gletscher, die das Gestein formten, abschliffen und transportierten.
Der Gamle Strynefjellsvegen, fertiggestellt 1894, beeindruckte uns als ingenieurgeschichtliches Denkmal. Er wurde gebaut, um das abgelegene Strynertal mit dem Landesinneren, insbesondere Skjåk, zu verbinden - zu einer Zeit, als es weder Tunnel noch moderne Fahrzeuge gab.
Arbeiter sprengten den Weg durch das Gestein und errichteten Trockenmauern, die bis heute die Strecke sichern. So wurde der erste ganzjährige Verkehr über das Hochgebirge möglich. Heute ist diese historische Straße im Sommer befahrbar, im Mai liegt sie meist noch unter Schnee. Der moderne Verlauf der Nationalstraße 15 nutzt eine andere Route entlang des Langvatnet - schneller, sicherer, aber nicht weniger spektakulär.
An einem kleinen Parkplatz hielten wir an. Die Schneefelder reichten in diesem Jahr teils noch bis an die Straße. Die Luft war trocken und klar - so still, dass wir sogar unseren eigenen Atem hören konnten.
Am Djupevatnet bogen wir auf die private Mautstraße Nibbevegen ab. Sie ist etwa 4.5 Kilometer lang und überwindet rund 437 Höhenmeter - mit einer durchschnittlichen Steigung von rund 10 %, in einzelnen Kurven auch darüber. In elf engen Kehren führte uns die Straße hinauf bis zum Gipfel des Dalsnibba auf 1476 Metern - ein anspruchsvoller, aber lohnender Aufstieg mit beeindruckenden Ausblicken. Nur wenige Tage zuvor hatten Schneefräsen die Straße freigegeben. Die Schneewände standen wie glatte, weiße Barrieren beidseits der Straße - fast unwirklich. Das Eis schimmerte im Gegenlicht, zerfurcht von Stahlmessern und Maschinenkraft.
Oben auf 1476 Metern angekommen, standen wir auf der Aussichtsplattform des Dalsnibba, auch bekannt als Geiranger Skywalk. Von hier fiel unser Blick tief hinab auf den Geirangerfjord - fast 1500 Meter unter uns. Dieser Fjord ist kein weitläufiger Meeresarm mit breitem Mündungsdelta, sondern ein tief eingeschnittener Talarm, der wie ein Schnitt durch den Fels wirkt. Eine Furche, die nicht von Menschenhand geschaffen ist, sondern vor rund 10.000 Jahren von einem mächtigen Gletscher geformt wurde. Das Tal gehört zum UNESCO-Weltnaturerbe und beeindruckt mit seinen steilen Wänden und der dramatischen Landschaft.
Der Abstieg Richtung Geiranger führte uns zurück in die Vegetation. Schnee verwandelte sich in Tundra, dann in grünes Moos, schließlich in bewachsene Schluchten. Auf dem Weg lag der Fludalsjuvet - ein Felseinschnitt, durch den ein Schmelzwasserbach in die Tiefe stürzt. Das Wasser rauscht nicht grell, sondern tief vibrierend - fast wie ein Pulsschlag aus dem Inneren des Gebirges.
Kurz vor dem Ort Geiranger besuchten wir das Norsk Fjordsenter, ein modernes Besucherzentrum, das spannende Einblicke in die Geologie und Geschichte der Region bietet. Besonders beeindruckend ist der Blick auf den Storfossen, den größten Wasserfall entlang des Geirangerelva, der direkt am Fjordsenter vorbeirauscht. Im Frühling, wenn der Schnee schmilzt, entfaltet der Wasserfall sein besonders kraftvolles Schauspiel.
Im Ort selbst liegt der Campingplatz direkt am Wasser - eine letzte, ruhige Etappe nach einem Tag voller Kontraste. Möwen zogen geräuschlos über die spiegelglatte Wasseroberfläche. Am Nachmittag fuhren wir zur Adlerkehre (Ørnesvingen), einem der bekanntesten Aussichtspunkte der Gegend. Hier schraubt sich die Straße in elf Serpentinen den Hang hinauf.
Der Blick reicht weit über den Fjord mit den Wasserfällen "Sieben Schwestern", dem Dorf, den Kreuzfahrtanlegern und der dramatischen Topografie, die einst vom Eis geformt wurde.
Ein Tag voller Kontraste - von stillen Gletscherseen über historische Pässe bis zu tiefen Fjorden: Norwegens wilde Mitte zeigt sich hier in all ihrer Vielfalt und Ursprünglichkeit.